Logo Deutscher Zahnärztetag Prof. Dr. Jens Christoph Türp (Basel)

Prof. Dr. Jens Christoph Türp (Basel)

Risiko Bruxismus

 
"Risiko" beschreibt in der klinischen Epidemiologie die "Wahrscheinlichkeit, dass sich bei Menschen, die bestimmten Faktoren ("Risikofaktoren") ausgesetzt sind, später eine bestimmte Krankheit häufiger entwickelt als bei vergleichbaren Menschen, die diesen Faktoren nicht ausgesetzt sind" (Fletcher & Fletcher 2005). Unter den Begriff "Bruxismus" fallen alle in der Nacht oder am Tage auftretenden okklusalen Parafunktionen, die mit anhaltender (Kieferpressen) und/oder rhythmischer Kiefermuskelaktivität (Zähneknirschen) einhergehen.

In den letzten Jahren wurden verschiedene Risikofaktoren für das Auftreten von Bruxismus identifiziert, von denen der am häufigsten vorkommende emotionaler Stress ist (Kuliš & Türp 2007, 2008).

Andererseits legen großangelegte epidemiologische sowie klinische Untersuchungen nahe, dass Kieferpressen und Zähneknirschen ihrerseits Risikofaktoren sein können. Nach derzeitiger Datenlage ist bei vorhandenem Bruxismus die Wahrscheinlichkeit des Auftretens folgender Befunde in der orofazialen Region erhöht:
  1. Attrition [Tsiggos et al. 2008, Griechenland].
  2. Keilförmige Defekte (Abfraktionen; nichtkariöse zervikale Läsionen) [Jiang et al. 2011, China].
  3. Okklusale Grübchen [Tsiggos et al. 2008, Griechenland].
  4. Positionierung des Discus articularis nach anterior bzw. Kiefergelenkknacken [Nagamatsu-Sakaguchi et al. 2008, Japan; Michelotti et al. 2010, Italien; Akhter et al. 2011, Japan].
  5. Mindestens ein subjektiver oder objektiver CMD-Befund (bei 4- bis 12-jährigen Kindern) [Pereira et al. 2009, Brasilien].
  6. Chronischer orofazialer Schmerz [Aggarwal et al 2010; England].
  7. Myofaszialer Schmerz der Kiefermuskulatur [Michelotti et al. 2010, Italien].
  8. Kiefergelenkschmerz [Gesch et al, 2004, 2005 sowie Mundt et al. 2008, Deutschland; Marklund & Wänman 2008, Schweden].
  9. Biologischer und/oder mechanischer Misserfolg bei der Therapie mit dentalen Implantaten [Salvi & Brägger 2009, weltweit; Wahlström et al. 2010, Schweden].
Trotz dieser durchaus eindrucksvollen Liste sollte man sich der Tatsache bewusst sein, dass - mit Ausnahme der Attrition bei Zähneknirschen - der Großteil der Menschen, die knirschen und pressen, von keinem der hier aufgeführten Ereignisse betroffen sein wird. Die von ärztlicher Seite bekannten Mängel bezüglich der Wahrnehmung und Interpretation von Risiken (Gigerenzer 2002) legt nahe, dass diese Defizite in unserem Fach ebenfalls bestehen. Daher sollte das Thema Risikokommunikation nicht nur in der ärztlichen (Wegwarth & Gigerenzer 2011), sondern auch in der zahnärztlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung deutlich mehr Beachtung erhalten.
 
 
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