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Samstag, 9. Nov. 2013
Zeit: 11:00-11:30 Uhr
Ort: CC, Conclusio
Ebene/Etage: C2

Dr. Margit Bacher und Prof. Dr. Dr. Siegmar Reinert tragen im Wechsel vor.

Einleitung
Die Pierre Robin-Sequenz besteht aus einer angeborenen Unterkiefer-Unterentwicklung und -rücklage, einer Glossoptose und in den meisten Fällen auch einer Gaumenspalte. Klinisch führend ist initial schwere Atemnot, die oft sofortiges Handeln erfordert. Als geeignete Therapiemethoden werden die Lagerung in Bauchlage, konventionelle kurze Gaumenplatte, die Glossopexie, die Unterkiefer-Extension, die Unterkiefer-Distraktion und schließlich die Tracheotomie beschrieben. Alle genannten Verfahren weisen erhebliche Nachteile hinsichtlich Trinkfähigkeit, Morbidität und Effizienz auf.
Ebenso finden sich in der Literatur keine belastbaren Daten hinsichtlich des idealen späteren Operationszeitpunktes der Gaumenspalte, der operativen Technik und zu funktionellen Ergebnissen.
Ziel dieser Arbeit ist die Darstellung einer von unserer Arbeitsgruppe entwickelten minimal invasiven Initialtherapie in Form einer sog. Atmungsgaumenplatte sowie die Darstellung der operativen Behandlungsergebnisse.

Patienten und Methoden
Die neuentwickelte Atmungsgaumenplatte hat einen nach dorsal-kaudal reichenden Fortsatz, der bis kurz vor die Vallecula der Epiglottis reicht. In den Jahren 1999 bis 2013 wurden ca. 120 Säuglinge (46% männlich, 54% weiblich) mit einer Pierre Robin-Sequenz mit diesem Behandlungskonzept erfolgreich therapiert, bei 20 Säuglingen erfolgte die Therapie im Rahmen einer DFG-geförderten, prospektiven, randomisierten Studie mit kurzer konventioneller Platte und langer Atmungsgaumenplatte. Der Therapieerfolg wurde mit Hilfe der Oxycardiorespirografie (OCRG) dokumentiert.
Der operative Verschluss der Gaumenspalte erfolgte nach klinischer Evaluation des Unterkiefer-Wachstums und nach Verifizierung unauffälliger Atmungsverhältnisse durch Schlaflabor-Untersuchung als einzeitige intravelare Veloplastik mit Muskelplastik nach Sommerlad und ggf. plastischem Hartgaumenverschluss durch Stiel- oder Brückenlappen in ITN, seit 2006 mikroskopisch assistiert. Für alle Kinder wurde postoperativ eine Überwachung auf der Intensivstation eingeplant.

Ergebnisse
In der randomisierten Patientengruppe mit Plattenbehandlung zeigte der Median des mittleren Apnoe-Index (MOAI) vor Behandlungsbeginn einen Wert von 15. Mit konventioneller Platte konnte im Median eine geringe Verbesserung auf 13 erzielt werden. In Einzelfällen mussten unter Behandlung mit der kurzen Platte auch Verschlechterungen bis auf 30 festgestellt werden. Mit der Atmungsgaumenplatte konnte der mittlere Apnoe-Index bis in den Normbereich verbessert werden. Neigungswinkel und Länge des Fortsatzes sind die entscheidenden Parameter für die Korrektur der retralen Zungenlage in eine physiologische Position. Mit eingesetzter Platte konnte auch das Trinken aus der Flasche erlernt werden, in einigen Fällen war auch Stillen möglich. Bei einer täglichen Gewichtszunahme von 22,5 Gramm wurde kein Patient bei Entlassung über eine Magensonde ernährt.
Zum Operationszeitpunkt betrug das Alter der Kinder im Median 9 Monate bei einem Körpergewicht von 9,95 kg. Der Median der Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation betrug 1 Tag. Postoperativ wurde ein Hb-Abfall von weniger als 1 g/dl beobachtet, eine Transfusion war somit bei keinem Patienten erforderlich. Die Magensonde konnte durchschnittlich ab dem 5. postoperativen Tag entfernt werden. Die weiteren postoperativen Verläufe waren im wesentlichen unauffällig.

Schlussfolgerung
Die Ergebnisse belegen erstmals objektiv die Wirksamkeit der Behandlung mit der Atmungsgaumenplatte bei Säuglingen mit Pierre-Robin-Sequenz. Eine vergleichbare Untersuchung ist uns nicht bekannt. Die Methode ist schmerzfrei und ermöglicht vergleichsweise kurze stationäre Aufenthalte.
Die Atmungsgaumenplatte kann vor den invasiven operativen Verfahren wie Glossopexie, Unterkiefer-Extension, Unterkiefer-Distraktion und Tracheotomie eindeutig als Verfahren der ersten Wahl empfohlen werden.
Der Operationszeitpunkt von 9 Monaten für die einzeitige Gaumenspaltplastik hat sich in dieser Studie an Hand der größten bisher beschriebenen Patientengruppe mit Pierre Robin-Sequenz als komplikationsarm und somit empfehlenswert erwiesen. Präoperativ ist neben den üblichen Voruntersuchungen auch eine Schlaflabor-Untersuchung sinnvoll, ferner ist eine postoperative Intensiv-Überwachung von durchschnittlich einer Nacht einzuplanen.

 
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